Istrien, Mikrokosmos der Genüsse
Istrien, Mikrokosmos der Genüsse
von Igor Albanese
Was ich Ihnen hier vermitteln möchte, ist ein Hauch meiner Heimat Istrien, das Gefühl und die Stimmung, welche die Natur und die Menschen daheim in mir erzeugen, die Gerüche aus der Küche, die Lebensart. Bei mir zu Hause spielte sich das Familienleben fast ausschließlich auf der Terrasse ab. Da wurde gekocht, gegessen, gestritten und gelacht. An den warmen Abenden nach dem Abendessen haben wir oft bis in die Nacht gesungen. Nicht selten improvisierte jemand aus dem Nachbarhaus die zweite Stimme und aus dem Souterrain drang der Bass von Zio* Gualtiero. Auch Zio Rudi aus der ersten Etage, der auf Grund irgendeiner alten Fehde, an die sich keiner mehr genau erinnern konnte, den Nono auf der Straße nicht grüßte, sang mit. An einer solchen Stimmung möchte ich Sie teilhaben lassen.
Doch es ist für mich nicht einfach, von meiner Heimat Istrien zu erzählen, ohne ins Schwärmen zu geraten und vielleicht auch ein wenig zu übertreiben. Daher möchte ich Ihnen die Eindrücke eines Reisenden vermitteln. Der Schriftsteller Stephan Vajda reiste 1926 durch das Landesinnere Istriens und erlebte die mittelalterliche Stadt Motovun und die verlassenen, umliegenden Dörfer so intensiv, dass er die Eindrücke zu Papier brachte. Diese Eindrücke sind stellvertretend für viele andere Istrien-Erlebnisse: „Der Zauber hat sich unmerklich eingestellt, man ist, ob man will oder nicht, von einer merkwürdigen Stimmung gefangen, von einer laut- und reglosen Magie verwirrt. Das Abseits scheint ungeahnte Weiten und Tiefen zu haben, das Fragment einen verborgenen Sinn, der Torso eine verschwiegene Vollkommenheit. Bezeichnungen wie armselig, heruntergekommen oder verlassen gelten nicht mehr. Man beginnt zu begreifen. Und man glaubt, man habe eine Reise in die Vergangenheit angetreten, aber man ist bereits im Zeitlosen angelangt.“
Motovuns Geschichte, die Vajda beschreibt, wiederholt sich – von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt. Sie ist letztendlich die Geschichte Istriens: „Herrschaften kamen und Herrschaften gingen, Motovun wurde gestürmt, verteidigt, verpachtet, gekauft, abgetrennt, einverleibt und zum freien Markt erklärt. Aber es blieb eine istrische Stadt auf dem Berg: Zugleich römisch, illyrisch, byzantinisch, deutsch, italienisch und slawisch. Spuren und Reste, Sprachen und Gebärden wuchsen zu einer imaginären Einheit zusammen, das Europäische entstand scheinbar ohne Zweck und Absicht, und es stand die mehr bösen als guten Zeiten durch, von der kargen Landschaft rundherum geschützt… nur die Stärksten und die Ärmsten sind geblieben …“
2.300 Sonnenstunden im Jahr,
540 Küstenkilometer,
über eine Million Olivenbäume,
31 Naturschutzgebiete und
unzählige historische Berg- und Küstenstädtchen.
Das ist die Region Istrien an der Adria.
Sie ist UNESCO-Weltkulturerbe und
ein geliebtes Ziel für Genießer.
Sie ist außerdem mein Geburtsort.
Igor Albanese ist in Pula in Istrien geboren. Seit knapp 30 Jahren mischt er als Veranstalter und Restaurantbetreiber die Kulturszene im Ruhrgebiet auf. Sonne und Heimatliebe ziehen ihn regelmäßig zurück an die Adria.
Igor Albanese ist in Pula in Istrien geboren. Seit knapp 30 Jahren mischt er als Veranstalter und Restaurantbetreiber die Kulturszene im Ruhrgebiet auf. Sonne und Heimatliebe ziehen ihn regelmäßig zurück an die Adria.
Die meisten Touristen kennen eher die Küstenstädte, wie Rovinj, Porec, Umag oder Pula, doch im Inneren Istriens findet man wahre Schätze. Neben der bereits erwähnten, sagenumwobenen Stadt Motovun etwa die Künstlerkolonie Groznjan, die alte venezianische Stadt Vodnjan mit unzähligen Reliquien und sakralen Prunkstücken und viele andere trutzige Dörfer und mittelalterliche Städtchen. Das Landesinnere Istriens ist eine Welt, die mit der Magie lebt und wirkt. Die Menschen dort leben immer noch nach den Rhythmen jahrtausendealter Lebensweisheiten. Doch nicht nur Vajda schrieb über Istrien. James Joyce, Thomas Mann, Anton Tschechow und viele andere gehören dazu. Die Fojba-Schlucht von der mittelalterlichen Stadt Pazin wurde von Jule Werne im Abenteuerroman „Matthias Sandorf“ beschrieben. Auch in Dantes „Göttliche Komödie“ wurde die Schlucht als Eingang zur Hölle verewigt. Meine Heimatstadt Pula nannte Dante darin „Die Grenzstadt Italiens“.
Es ist Mitte Oktober. Die Olivenernte ist gerade mit viel Kraft und Mühe vollbracht. Das junge Olivenöl ist eine nachgewiesene Weltklasse; heute, wie in der Römerzeit, als Plinius der Jüngere (ca. 90 n. Chr.) schrieb: „Das Olivenöl aus dem Süden Istriens ist Maß aller Dinge.“ Oder der römische Dichter Marcus Valerius Martial (40-103 n. Chr.), der gebürtig aus Spanien kam. Er lobte seine Heimat Cordoba, indem er ausrief: „Uncto Corduba laetior Venafro, Histria nec minus absoluta testa!” („Cordova, du bist fruchtbarer als das salzige Venafro und so perfekt wie das istrische Olivenöl!“)
Oktober ist auch die Zeit der königlichen weißen Trüffel. Von Oktober bis Ende Dezember pilgern jährlich Feinschmecker-Scharen aus der ganzen Welt in das Trüffelgebiet unterhalb von Motovun, in die Trüffelhochburg Livade. Der kleine Ort ist geprägt von der Familie Zigante, die dort im Oktober/November eine Trüffelmesse organisiert und eines der weltbesten Trüffelspezialitäten-Restaurants betreibt. Der intensive Duft der weißen Trüffel und ihr unverwechselbarer Geschmack zählen zu den höchsten kulinarischen Genüssen. Die Fundorte sind streng gehütete Geheimnisse, die Koordinaten werden von Generation zu Generation weitergegeben.
Trüffel kann man in Istrien das ganze Jahr genießen, denn der wesentlich preiswertere schwarze Sommertrüffel bietet eine höchst aromatische Gaumenfreude. Ein Besuch im Restaurant Zigante in Livade ist zu jeder Jahreszeit ein Muss. Und dann ist da noch der wilde grüne Spargel, der Schinken und Käse, die Austern und Adriafische, das beinahe ausgestorbene und wiederbelebte istrisches Rind „Boskarin“ … und viel, viel Wein.
Diese einzigartige Vielfalt des kulinarischen Angebots auf so kleinem Raum genoss auch der berüchtigte Giacomo Casanova, der zu seinen Lebenszeiten in Istrien weilte. Oft besuchte er das „Kastell Bembo“, das Palazzo seines adeligen Freundes Bembo im Örtchen Bale. In Bale, einem befestigten Städtchen im Süden Istriens, leben heute noch Abkömmlinge der keltischen Siedler, die vor mehr als 2.300 Jahren nach Istrien kamen. Sie bedienen sich einer uralten romanischen Sprache, die man nirgendwo anders in der Welt versteht, nicht einmal im benachbarten Rovinj.
Apropos Kelten: Sie lieferten verschiedene Einflüsse, nicht nur in der Sprache. Ein Überbleibsel der Magie der alten Kelten ist das Kräutergetränk Biska, das man nur noch in Istrien finden kann. Es ist ein Tresterbrand aus Mistelbeeren und noch vier anderen Kräutern und besitzt Heilkräfte. Das Druidengetränk kann der Überlieferung nach Böses fernhalten, Feinde versöhnen und viele Kinder bescheren. Das genaue Rezept wird von Generation zu Generation weitergegeben und bleibt ein Familiengeheimnis. Es soll eines der besten Naturheilmittel gegen Arteriosklerose und gegen hohen Blutdruck sein. Und man sagt, dass Biska auch ein Aphrodisiakum ist. Asterix und Obelix lassen grüßen.
Die Olivenernte Anfang Oktober ist schnell vorbei, danach bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Nur mein Abschiedsbesuch steht noch bevor. Mein Vater, der 2010 gestorben ist, liegt auf dem Friedhof meiner Stadt Pula, die übrigens, wie die Stadt Rom, auf sieben Hügeln gebaut ist. Auf einem dieser Hügel liegt der Friedhof von Pula, der Monte Ghiro. Mein Vater liegt ganz am Anfang, mein Onkel etwa in der Mitte. Ich laufe gerne in dieser Stille, es liegt etwas Beruhigendes in der Luft. Dabei lese ich die Namen auf den Grabsteinen. Das habe ich schon als Kind gemacht und mich bereits damals über die vielen verschieden klingenden Namen gewundert. Die Namen auf den Steinen können dir keinesfalls verraten, am welchem Fleck der Erde du dich befindest. Dort liegen Österreicher, Italiener, Ungarn, Dänen, Niederländer, Juden, Serben, Kroaten, Muslime … Viele Menschen sind durch Pula gegangen und viele sind geblieben, für immer. „Dieser Friedhof erinnert an ein Hotel“, sagte bereits Hermann Bahr (1863-1934).
Istrien ist reich und vielfältig – die Landschaft und die saubere Luft, die Ortschaften im Landesinneren, die am Meer gelegenen Städte, die Dorfkirchen und die Trümmer der Burgen auf den Hügeln, die Bevölkerung mit ihrer unterschiedlichen Herkunft, Sprachen und Kulturen, die Geschichte und die Küche, das alles ergibt ein verstreutes Mosaik aus Farben und Einflüssen.
Über diesen Fleck Erde möchte ich Ihnen auf dieser Webseite regelmäßig berichten, Sie für dieses Land begeistern und Sie herzlich einladen, mit mir diese Leidenschaft zu teilen.